Sie nennen ihn den „Roten Blitz“. Dabei ist er weder rot noch Blitz, ganz im Gegenteil. Holz und Messing, dunkelgelb, klackernd und tackernd, quietschend und knackend, wankend, ächzend und sich kämpfend durch die Höhen der Nordküste der Serra de Tramuntana … die Rede ist natürlich von dem uralten Zug der Marke Siemens Schuckert, der seit über 100 Jahren die Inselhauptstadt mit dem Küstenort Sóller und seinem Hafen verbindet. Die M●I-Redaktion ist mitgefahren: Die Reise lohnt, die Ziele auch – und lässt uns außerdem über Infrastruktur nachdenken.
MALLORCA●INDUSTRIES auf Achse. An einem Gründonnerstag, 09.30 Uhr morgens, ein Frühlingsmorgen in Palma, Plaza España, im Norden des Innenstadtzentrums an den sog. Avenidas (der Ringstraße, die mit dem berühmten Paso Maritimo das innere Zentrum umschließt). Noch einen schnellen Cortado im alteingesessenen Café Cristal gegenüber genommen, dann gehts los!
Auf dem Programm der heutige Redaktionstipp des Tages: Zugfahrt mit der historischen Siemens Schuckert-Bahn, aus unerfindlichen Gründen genannt der Rote Blitz, der seit über 110 Jahren per Schmalspur zwischen Palma und dem bestens bekannten pittoresken Bergstädtchen Sóller hin- und her „rast“:
1912 in Dienst gestellt, im Jahre 1929 elektrifiziert, und zig Jahrzehnte wahrhaftig das, was man heute „kritische Infrastruktur“ nennt, war es doch das zentrale Verkehrsmittel, das die Inselhauptstadt mit derjenigen der Serra de Tramuntana, Sóller, verband.1)
Ein paar Techs vorab: Tickets kann man online kaufen, und das lohnt (Ausdruck nicht nötig, pdf auf dem Mobile reicht, aber: Zugbindung!), denn zu Stoßzeiten können die Züge schnell ausgebucht sein:
Platzwahl frei, vorne in der Lok gibt es sogar einen kleinen (von vielen übersehenen) Salonwagen mit Sofas und Sesseln.
Es wird gebeten, sich 30 Minuten vor Abfahrt einzufinden, und an schönen Tagen ist das auch kein Fehler. Im Bahnhof selbst gibt es auch ein kleines, nettes Caféchen, zugehörig zu der Bahn, wo man den Auftakt-Americano des Tages nehmen kann.
Los gehts: „Alles einsteigen“
Kurz vor 10, „Boarding“, der Wanderer wie immer einer der letzten, alles voll, also ganz nach vorn zur Lok, den Salongwagen entdeckt, Chefplatz.
10.10 Uhr: Abfahrt pünktlich. Der Zug aus Holz, Stahl und Messing, blitzeblank poliert, setzt sich in Bewegung, Kurs Nordwest. Ruckelnd und klingelnd geht es erstmal durch den Norden Palmas – Wohngebiete, Gewerbe, chice Neubauten, eine kleine Armensiedlung. Dann folgen Felder, Wälder, Dörfchen …
Fenster auf, Fahrtwind in der Frühlingssonne, offen. Ratternd durch die Zeit. Das Tack-Táck, Tack-Táck der Schwellen, das man nur noch aus der Kindheit kennt. Olivenbäume, Zitronenbäume, Orangenbäume, in schier endloser Zahl und die man am liebsten plündern würde, so ubiquitär, wie sie hier sind.
Tunnel, Viadukte und Stop over
Die Strecke verfügt über 13 Tunnel, zwei Viadukte und drei Zwischenstationen, darunter Bunyola. Bauzeit war von 1907 bis 1912, weniger als fünf Jahre, eine technische Meisterleistung, erst recht mit den damaligen Mitteln, und untrennbar verbunden mit dem Namen des Ingenieurs Pere Garau (dessen Namen uns aus dem Beitrag „Der Mercado Pere Garau“ schon bekannt ist).
Weiter gehts mit der Fahrt, denn schon fängt es an, hügelig zu werden: die Serra de Tramuntana beginnt, die am Ende als Steilküste fast die gesamte Nordwestseite der Insel prägt! Und man bekommt eine Ahnung, was die Menschen damals auf sich genommen haben, dieses technisch sicher anspruchsvolle Projekt zu verwirklichen.
Genau genommen bewegen wir uns nun durch Serra d’Alfàbia, gehörig zum Tramuntana-Gebirge und zwischen Bunyola und Sóller gelegen. Die Tramuntana selbst ist übrigens Unesco-Welterbe.
Schon fast kitschig: der letzte Halt vor dem Ziel am Punyol d’en Banya, eine Art Aussichtsplattform mit Blick über das Tal von Sóller. Wir alle steigen aus. Und wer schon immer sein ganz eigenes Postkartenmotiv fabrizieren wollte – hier ist es ein leichtes:
Kurz nach 11: Nach más o menos einer Stunde rollen wir pünktlich ein: Sóller, am Fuße des Gebirgszuges, zu dem auch der Puig Mayor gehört.
Und man hört, sieht und spürt direkt: Vor uns liegt ein belebter, trubeliger und gleichwohl wunderbar mediterran-entspannter Frühlingstag:
Und das, obwohl unsere Reise noch ein Stückchen weitergeht: Denn direkt am Bahnhof Sóller wartet schon die nicht weniger nostalgische Tranvía de Sóller, die alte Straßenbahn, die liebevoll-gemütlich weiter zum Hafen rattert – quer durch den belebten Ort, mitten über den belebten Marktplatz:
Als alter Palma-Fahrer denkt man direkt: Warum zur Hölle gibt es sowas nicht dort, am Paseo zum Beispiel? Dazu unten mehr.
Knappe fünf Kilometer, dann erreichen wir den gar nicht so kleinen Hafen des Städtchens:
Das Meer, die langgezogene Strandpromenade, den die Tramvia nach ihrem ersten Zwischenhalt entlangtackert, Cafés und Restaurants, Lädchen und Schiffchen, nicht minder pittoresk, nett und belebt als sein Mutterstädtchen …
Es gibt sogar einen kleinen Mercardo:
Genese und Geschichte einer Kraftanstrengung
Wer etwas mehr zum dem Zug wissen will, dem sei das kleine Büchlein „Der Zug von Sóller“empfohlen, das es in den Bahnhöfen für 12 Euro zu kaufen gibt.
Das Büchlein illustriert knapp und kurzweilig die wirklich enorme Kraftanstrengung – technisch, politisch, ökonomisch – welche die Sollerics und Solleriques erbracht haben, um ihr blühendes Hafenstädtchen Anfang des 20. Jahrhunderts nicht mangels moderner Verkehrsanbindung ins Nirgendwo rutschen zu lassen.
Schließlich gab es vor dem Zug nur eine unbefestigte Serpentinenstraße aus Sóller heraus nach Palma. Diese wurde zwar später ausgebaut, doch der Wanderer erinnert sich noch an die Zeit, als es den 1997 eröffneten Autotunnel noch nicht gab und dieser Zug tatsächlich der schnellste Weg nach Sóller war – nicht nur für Touristen. Welch ein Glück, dass nicht irgendwelche Beamten-Dummköpfe den Zug abgewickelt haben so wie man die Schiene in Palma und Mallorca teils abgewickelt hat!
Also: Lassen Sie einfach den verdammten Mietwagen mal stehen! Der „Rote Blitz“ ist mehr als ein Zug. Er ist ein Stück mallorquinische Seele auf Schienen. Und er beweist mit seinen über 110 Jahren, was Nachhaltigkeit und kritische Infrastruktur wirklich heißt.
Soviel zu der auch für Familien mit Kindern (aber hier wirklich Vorsicht an der Bahnsteigkante, auch in den Orten) äußerst lohnenswerten Zugfahrt mit der alten Siemens Schuckert von Palma nach Soller/Port’Soller. Auch die beiden Zielorte sind – wenn auch ob ihrer Schönheit oft etwas überlaufen – jeden Ausflug wert. Und werden auf MALLORCA●INDUSTRIES beizeiten in eigenen Beiträgen vorgestellt … Nur soviel heute: Der Wanderer mag sehr das Restaurant mit angeschlossenem Biolädchen ReOrganic Tienda …
…. wo Ihnen lustige Fisch am Tisch Gesellschaft leisten:
Mallorca, Deine Schienen – einst und jetzt, und …

Übrigens: Wer sich für das einstmals gar nicht so schlecht ausgebaute Bahnwesen Mallorca insgesamt interessiert, der findet einen wirklich guten Artikel hier in der Welt. Ein wirklich guter Beitrag!
Aber wo wir schon beim Thema sind und da das Thema Infrastruktur für die verehrte Leserschaft dieser Plattformen ohnehin stets auf der Agenda steht, wie oben angedeutet hier ein paar Gedanken zum Verkehr grundsätzlich in Palma:
Die Stadt, knapp 500.000 Einwohner, je nach Touristenlage noch enorm anschwellend, steht in diesen Jahren faktisch vor nicht weniger als dem Verkehrsinfarkt!
Dabei hatte Palma sogar mal einen Straßenbahn, eröffnet 1902, ab 1913 elektrisch. Irgendwann im Autowahn, Ende der 50er Jahre, dachte man, die Straßenbahn sei überholt. So kann man sich irren. Denn: Die Schiene ist nie überholt, und sie wird es niemals werden. Nirgendwo auf diesem Planeten!
… ohne wird nichts mehr besser hier
Für den unabwendbaren Verkehrsinfarkt Palmas gibt es einen einfachen Grund: das fast komplette Fehlen der einstmals durchaus vorhandenen Schiene. Es gibt zwar eine Bahn Richtung Norden. Aber keine zu dem (an sich gut gemanagten) Flughafen. Es gibt keine Bahn nach Arenal, nach Llucmajor, nach Es Trenc, nach Santani …
Von Palma Richtung Westen gut, da ist das Land hügelig, das kann man verstehen. Aber Richtung Osten, die genannten Orte, ist die Insel flach wie eine Scheibe. Für jeden Eisenbahningenieur eine Anfängerübung. Auch in der Stadt selbst fehlt jede Schiene – mit der Folge, dass die Locals sich fast durchgängig mit dem Auto bewegen, viele Touristen setzen auf den Mietwagen – und an denen herrscht auf der Insel bei Gott kein Mangel.
Ergebnis ist, dass man zum Beispiel bei Regenwetter nur dringend davor warnen kann, mit dem Auto in die Stadt zu fahren. Warum? Weil dann die halbe Insel, insb. die Touristen an den Stränden, die Gelegenheit zum Stadtbummel nutzen wollen. Dann geht auf den Straßenwirklich gar nichts mehr. Die Situation ist so schlimm, dass dies längst über ein Parkplatzmangel hinausgeht, denn auch das Taxifahren kann zur absoluten Geduldsprobe werden. Den ohnehin überlasteten Bussen geht es auf den engen Straßen kaum besser, Busspuren existieren nur wenige.

Nach längerer Bauzeit hat Palma im vergangenen Sommer die Sanierung der Hafenmeile Paseo Maritimo abgeschlossen. Augenfälligste Maßnahme: Autospuren verengt, und auf dem gewonnenen Raum ein paar Zierbäumchen gepflanzt. Die Chance, eine Art Promenaden-Bahn zu schaffen (wie z.B. in Port de Sóller) wurde kläglich vertan.

Die Eisenbahn: Vielleicht DER Meilenstein der Menschheitsgeschichte
Überhaupt, die Schiene: Beschäftigt man sich ein wenig mit der Geschichte des Zuges und der Bedeutung, die er für das zwar ungewöhnlich agile, aber doch fast vom Rest der Insel abgeschnittene Sóller ohne Hinterland hatte und hat, bekommt man eine leichte Ahnung davon, welcher enorme Quantensprung für die Menschen in Europa die Entwicklung der Eisenbahn ab den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts hatte, als sich die Mobilität der Menschen, auch der einfacheren, nicht weniger als verzigtausendfachte: Menschen, die damals kaum im Leben die Grenzen einiger Nachbardörfer überschreiten konnten, wurden auf einmal binnen weniger Jahrzehnte europaweit mobil (gute Animation in der Berliner Morgenpost hier). Wer unternehmungslustig war, und genug Zeit und Kleingeld hatte, der konnte auf einmal schon um Mitte des 19. Jahrhunderts, drei bis vier Jahrzehnte nach Napoleon, relativ leicht den Kontinent von Madrid bis Moskau und von Stockholm bis Rom bereisen, und das in einem selbst im Vergleich zu heute verhältnismäßig respektablen Tempo. Man bedenke: Vorher war es praktisch unmöglich, von Oberstdorf nach München oder von Bad Münstereifel nach Köln zu reisen (höchstens zu Pferde oder mit der Kutsche), und das während des gesamten Lebens. Die Eisenbahn war ein Quantensprung, der, wenn überhaupt, nur mit der Entwicklung des Internets und der Digitalisierung verglichen werden kann.
Hinzu tritt ihre enorme Kapazität. Nehmen wir die Stadt Frankfurt: Wir alle kennen bspw. die Hauptwache, die roten S-Bahnen dort mit über 100m lange Zügen, die teils im Minutentakt hier abfahren, dazu noch die U-Bahnen, die gemeinsam jede Stunde Aber- und Abertausende Menschen transportieren. Kein Ballungsraum der Welt, der unter Verkehrsüberlastung leidet, wird sein Problem lösen ohne die Schiene. Auch Palma nicht.
FN 1) Übrigens: Der deutsche Tourist, so er Französisch in der Schule hatte und im Spanischen um das Doppel-L als J weiss, spricht den Ort ebenso gern wie falsch als „Sojé“ aus. Wollen Sie es aussprechen, denken Sie einfach an den Hauptprotagonisten eines gewissen Mark Twain, dann kommen Sie der Wahrheit nahe..